normal work day

Eigentlich ist das Wort «normal» etwas übertrieben - jeder Tag bringt so viel eigene Überraschungen und Unerwartetes mit sich. Was für ein Privileg in einem solchen seelenerquickenden, bereichernden und fröhlichen Umfeld arbeiten zu dürfen. Die gute Stimmung ist ansteckender als Omikron in einem gefüllten Hallenstadion ohne Maske und man kann den ausgesprochenen Segen förmlich spüren. Was bitteschön gibt es schöneres, als wenn dir zu Schichtbeginn ein fünfjähriger Junge in die Arme rennt und schon von weitem deinen Namen ruft. So gibt es inmitten der schweren Schicksale und trotz allem Leid immer wieder viele lustige, ultraschräge und einfach erheiternde Momente. Wenn die kleine Patientin nicht mehr in ihrem Bett zu finden ist, schaut man besser mal bei einer anderen Mutter unter die Decke oder wenn der Teenager seine Medikamente nicht einnehmen möchte, mischen sich alle afrikanischen Mammas lautstark, temperamentvoll und in für mich unverständlichen afrikanischem Dialekt ein und sorgen ohne Widerstand dafür, dass die Pillen auch wirklich geschluckt werden. Das zuerst erschrockene und dann faszinierte Gesicht des kleinen Jungen, als er das erste Mal eine Toilettenspülung sah oder die strahlenden Augen der Patientin wenn ich sie ohne Übersetzer auf wolof etwas frage. Meine senegalesischen Patienten sind auch überaus grosszügig. Regelmässig offerieren sie mir ihr eigenes Mittagessen, lassen mich beim 4-gewinnt absichtlich gewinnen und nicht selten bieten sie mir einen Verwandten oder sogar sich selbst an, mich nach 25 Jahren endlich aus dem Zivilstand «single» zu befreien. Das Arbeiten und vor allem auch die Patienten machen mir so viel Freude, dass ich oft nach dem Frühdienst die Station gar noch nicht verlassen möchte – sondern noch stundenlang mit ihnen wolof üben, Armbänder knüpfen, Uno spielen, füreinander beten, Bilder malen, pflegerisches Know-how beibringen, zu senegalesischer Musik tanzen, über die besten Fussballspieler diskutieren oder von den grössten Lebensträumen schwärmen möchte.


Funfact: Wundversorgung mit Essig und Honig bringt erstaunlich gute Resultate


Wie ein «normaler Frühdienst» von mir aussehen kann:


06:15 aufstehen, direkt in den Kasak schlüpfen
06:30 Zmörgele in der Dininghall, Smalltalk mit anderen Frühaufsteher
06:58 ab in den Spitalbereich, die gutgelaunte Daycrew begrüssen
07:00 Charge Nurse startet mit Briefing und Gebet für den bevorstehenden Tag
07:10 mündliche Übergabe der Patienten durch die Nachtwache, zwischen 3-4 Patienten pro Nurse
07:30 erste Kontrollrunde bei den schlafenden Patienten, erste «Salaam Alaikum» Begrüssungen
07:50 Medikamente richten, Vitalzeichenkontrolle, verordnete Blutentnahmen und Wundversorgung
08:15 Eier, Porridge und Früchte werden zum Frühstück verteilt, Sondennahrung wird angehängt
08:30 letzte Vorbereitungen am Patienten für Operation, gründliche Desinfektionsdusche
08:50 Patient wird für vom OP-Team abgeholt, mit Freudejubel von den Bettnachbarn
09:00 Zeit für Instruktionen mit Übersetzung für die Angehörigen oder den Patienten selbst
10:00 Mana-Dance, im Anschluss Musizieren mit Chaplaincy, unsere senegalesischen Seelsorgern
10:30 gemeinsames Tanzen, Singen und Bewegungstherapie auf dem Spitalgang oder im Bett
11:00 spielerische Logopädie- oder Ergotherapieübungen mit Patienten
12:00 Antibiotika und Schmerzmittel verabreichen, Zmittag wird verteilt
12:40 Patienten welche entlassen werden können nochmals schulen und Fragen klären
13:00 Patienten werden abgeholt und ins Hope Centre, unsere auswärtige Poliklinik gebracht
13:15 Patient wird von OP zurückgebracht, installiert und engmaschige Überwachungen folgen
14:00 Team der Abendschicht kommt und wird von Patienten freudig willkommen geheissen
14:05 Briefing, Gebet und Dankbarkeitsrunde, Jeder nennt etwas wofür man heute dankbar ist
14:30 alle Patienten werden aufs Deck 7 begleitet, freuen sich über die frische Luft und mehr Musik
15:30 von Patienten verabschieden und an Spätschicht übergeben

16:00 Teaching über das bevorstehende nächste Fachgebiet

17:00 Nachtessen in der Mensa, mit etwas Glück mit feinen Brownies als Dessert
18:00 spontanes Volleyballspielen auf dem Dock
20:00 Zeit zum Nichts-tun, im Schiffscafé mit Anderen plaudern, sich im Pool abkühlen oder mit irgendeiner zusammengewürfelter Gruppe eine feine Limo trinken gehen